„en passant“

Rede zur Vernissage der Ausstellung „en passant“ Franz E hermann,
im Kunstverein Das Damianstor Bruchsal, 23.03.2014,     Martina Wehlte

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Fotoarbeiten des Karlsruher Künstlers Franz E. Hermann zeigen unspektakuläre Alltagsmotive, die oftmals en passent, im Vorübergehen an einem Schaufenster oder im Vorbeifahren an einer Landschaft aufgenommen sind. Zufällige Entdeckungen, die mit dem Handy fotografiert wurden, sogar durchs Schlüsselloch gesehen, wie die kubanischen Grabkapellen. Überwiegend sind Gebrauchsgegenstände die Vorlage, wie das Vesperbrettchen mit einem Hirschkopf, das plötzlich den Blick des Fotografen angezogen hat und mit seinen Schnittspuren zum Gegenstand einer 18-teiligen Werkreihe wurde. Sie ist in dem kleinen Raum eingangs der Ausstellung gehängt. Die schlichten, ja manchmal banalen Motive haben allerdings etwas Besonderes: Sie sind durch verschiedene Bearbeitungsweisen verfremdet. Da gibt es irritierende übergelegte Muster, aufeinander geblendete Fotografien, Spiegelungen, Übermalungen. So entstehen surreale Effekte, Transformierungen in andere Bedeutungszusammenhänge, Ablenkungen des Betrachters, dessen Aufmerksamkeit sich vielleicht stärker auf die Spannung gegensätzlicher Materialien richtet, wie sie Franz Hermann gerne kombiniert, als auf die motivische Wiedergabe. Solche Effekte sind beabsichtigt und die Arrangements wohlbedacht. Auch die sorgfältige Hängung in dieser Ausstellung zeigt wechselseitige Bezüge und neue Werkaspekte, wofür ich am Ende meiner Einführung ein Beispiel geben möchte.


Am schon erwähnten Jagdkabinett ist der inhaltliche Zusammenhang jedem ersichtlich. Das kleine Hirschgeweih an der Innenseite einer rustikalen Holzkassette greift als Objekt dasselbe Thema auf, das mit den 18 quadratischen
„Haarwild“-Tafeln vor Augen steht. Eine Fotografie vom typisierten Kopf eines jungen Hirsches, die im Fotoshop bearbeitet wurde, ist auf Hartfaserplatten kaschiert, übermalt und mit dem Borstenpinsel lasiert worden. Die Schnittspuren auf dem Vesperbrettchen wurden teilweise mit Farbe nachgezogen und so in ihrer Wirkung verstärkt. Diese differenzierte Vielschichtigkeit in der Bearbeitung hat zu ganz unterschiedlichen Ausdruckswerten ein- und desselben Motivs geführt.


Franz Hermann, der in Lörrach/Basel studierte, schloss nach verschiedenen Lehrtätigkeiten von 1991 bis 1993 ein Studium der Sonderpädagogik an und unterrichtete bis 2010 neben seiner künstlerischen Arbeit noch als Sonderschullehrer. Seit 2011 ist er freischaffender Künstler. Er setzt auf Irritation, auf optische Störfaktoren, um den Betrachter zur Reflexion anzuregen. Ein Beispiel hierfür sind die Engelsreliefs, deren kindlich weiche Formen ersichtliche Spuren morbiden Verfalls tragen, und auf die rote Segmente projiziert sind, so als würden sie den Ewigkeitsanspruch der Himmelsboten – oder auch den Kitsch in der Sakralkunst – durchstreichen und somit für ungültig erklären. Reminiszenzen einer Kuba-Reise, auf der dieses Foto entstanden ist, beherrschen den großen mittleren Ausstellungsraum im ersten Stock. Die schon erwähnten noblen Grabkapellen, die mittlerweile als Abstellkammern zweckentfremdet sind und so gar nichts Weihevolles, Gedenkenswertes mehr haben, sind ironisch „Personalraum“ betitelt. Ob das Personal nun im Diesseits oder im Jenseits tätig werden soll, sei dahingestellt. Eine optische Barriere, nämlich ein martialisches schwarzes Quadrat, das zwischen die rückwärtigen Fenster aufgebracht ist, erklärt als Kontrapunkt zu diesen Lichtquellen den ursprünglichen Bedeutungszusammenhang des Ortes für ungültig. Wie ein aufgedrückter Stempel, der ein ehemals wichtiges Dokument entwertet. Alles hat seine Zeit, auch das führt diese Metamorphose der Grabkapelle vor Augen.


Franz Hermann geht gerne auf Friedhöfe und das Thema Vergänglichkeit taucht in seinen Arbeiten immer wieder auf. Der Kadaver eines Hundes, dessen Hinterteil schon skelettiert ist, ermahnt als Memento Mori den Betrachter auf unspektakuläre, aber nicht minder ergreifende Weise. Die Präsentation auf einem Holzgestell, das als niedriger Sockel dient, bietet dem Besucher dieselbe Perspektive von oben wie seinerzeit der leblose Körper dem Kuba-Touristen inmitten Havannas. Und doch erfährt der Tote durch diese Aufbahrung eine Erhöhung auch im übertragenen Sinne, eine letzte Würdigung. Die in das Foto montierte Grabinschrift legt eine solche Interpretation nahe. Ein anderes Stillleben mit dem Titel „Vorgestern Fisch“ mag in Anbetracht des Titels zum Schmunzeln einladen, denn Kopf und Gräten bleiben üblicherweise vom Mahl übrig. Doch die kreuz und quer gelegten Skelette mit den geschwärzten Köpfen und den Unschärfen in der Aufnahme haben eine ganz andere Qualität als etwa Daniel Spoerris Fallenbilder, die Momentaufnahmen von einem verlassenen Tisch mit Essensresten sind oder stilllebenartige Charakterisierungen einer Person. Die Fischkadaver zeigen vielmehr was nach dem Ende übrigbleibt – von Tier und Mensch.


Eine andere Form der Reflexion ist die Selbstbespiegelung durch ein Glas, das der Künstler vor sich hält und durch das er hindurchfotografiert hat. Die ausschnitthafte Wiedergabe, bei welcher der Kopf fehlt und wie in einer Glaskugel vor der Brust präsentiert wird, hat etwas Makabres. Durch die Lichtreflexe wird der Betrachter irritiert, hinters Licht geführt mit einer skurrilen Spielerei. Oder sollte hier die Vielgesichtigkeit des Menschen inszeniert sein, der auch noch im Profil eingeblendet ist? Die Janusköpfigkeit des Ichs, das ja keine konstante Größe ist sondern sich ständig wandelt, wie alles im Leben in ununterbrochener Entwicklung ist? Ist gar eine metaphysische Dimension denkbar?


Wenden wir uns dem rein Ästhetischen zu, der Affinität Franz Hermanns für gegensätzliche Materialien und ihre Effekte. Da ist die Zartheit von Blüten und die glänzende Oberfläche der Fotografie mit der Grobheit rostigen Blechs verbunden; oder in dem Objekt „Haustierfell“ aus der Reihe „Katze – Hund“ eine schwere Metallscheibe als Träger für ein leichtes, buschiges Fellstück gewählt. Fundstücke, wie hier die Metallscheibe aus einem Container im Rheinhafen, an anderer Stelle ein Treibholz, spielen dabei eine ebenso große Rolle wie das beabsichtigte Rätselraten beim Betrachter. Einfaches, Rustikales hier, Bildbearbeitung am PC dort: Das vermeintlich Unvereinbare wird vereint. Selten, zumindest in den hier gezeigten Arbeiten der Jahre 2007 bis heute, erscheinen Personen. Allenfalls ein Körperteil, eine Hand zum Beispiel, ist ein Motiv unter anderen. Und auch das Abbild der eigenen Person, das gelegentlich in eine Komposition integriert ist, hat nicht den Charakter eines herkömmlichen Selbstbildnisses sondern erschließt sich erst aus dem Kontext des gesamten Bildes in seinem ideellen Gehalt. Unbekleidete Schaufensterpuppen ersetzen die Menschen in dieser entpersonalisierten Kunst, die dadurch etwas Allgemeinverbindliches erhält, etwas Zeichenhaftes. Die Umrisse einer Puppe vor Fliesen mit Rosenornament wirkt austauschbar und führt rein motivisch auch wieder den Gegensatz vor.


Installationen spielen eine wichtige Rolle im Werk Franz Hermanns und bereits am Aufgang zur Ausstellung sind Sie mit einem Youtube-Video bekannt geworden. Insgesamt drei Versionen gibt es von der Hühner-Installation, für die er auf einer Glasplatte abgekochten Reis ausgestreut hatte und seine vier eigenen Hühner die Körner darauf picken ließ. Die Kamera war unter der Glasplatte montiert, so dass die hellen Krallen der Vögel inmitten der sich verschiebenden Körner zu sehen und die Schnabelhiebe zu hören sind. Durch die Projektion des Videos an die Decke wird der Kamera-Effekt für den Besucher erfahrbar. Eine originelle und witzige Arbeit, die unsere Sehgewohnheiten durchbricht. Ebenso
irritierend ist die Zusammenschau der Front des Karlsruher Schlosses mit einer Aufnahme von Straßenschäden in einer Fotografie, so dass aus dem Übereinander der Montage etwas Neues entsteht.


Eine nicht unerhebliche Rolle für das Verständnis der Arbeiten spielen die Titel. „Koi Fisch!“ widerspricht gerade dem, was man sieht, nämlich vier im Teich schwimmende Fische, über denen sich der Himmel in der Wasseroberfläche spiegelt. Ein anderes Beispiel ist „Die Versuchung des Heiligen Antonius“, bei der sich der Kopf des Fotografierten in einer Scheibe spiegelt. Mit seiner Installation aus dem goldgerahmten Bild einer Palme mit von hinten kommendem Licht und einer abgebrochenen Mistgabel, die wie ein Verletzter mit Mull umbunden ist, stellt der Künstler sein Publikum zunächst vor ein Rätsel. Der Titel weist Eingeweihte auf ein Werk Marcel Duchamps, „Dem gebrochenen Arm voraus“. Duchamp liebte die Ironie; machte sich gern über alles und jeden lustig und folgte jeder noch so skurrilen Idee, nur nicht dem herrschenden Geschmack. So mag sich vor dieser Installation Franz Hermanns der Betrachter auch düpiert fühlen, - ein wohlkalkulierter Effekt.


Zuletzt ein Wort zum Arrangement der Ausstellung, für die Franz Hermann die Räumlichkeiten kreativ genutzt hat. Seine beiden Bilder „Wallfahrt“ sind ursprünglich in einer Arbeit zusammenstoßend konzipiert. Hier im Damianstor hat er sie links und rechts eines Durchgangs platziert, durch den man auf seinen „Rosenkäufer“ blickt: eine Metalltür mit Roststellen und einem artifiziellen Motiv in Hochglanz-Rot. So ergibt sich ein Ensemble, das neue optische und inhaltliche Bedeutungszusammenhänge erschließt.
Ich wünsche Ihnen nun Freude beim Rundgang durch die Ausstellung und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


 

 

Neue Spuren – franz E. hermann

Vernissage am 27. Januar 2013, Galerie im Bürgerhaus Sulzfeld
Einführung von Dr. Chris Gerbing

- es gilt das gesprochene Wort -

Meine sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herr Hermann,

auch ich darf Sie sehr herzlich zur Ausstellungseröffnung hier im Alten Schulhaus begrüßen. Franz E. Hermann hat seine Ausstellung „Neue Spuren“ genannt – neu deshalb, weil er Arbeiten zeigt, die überwiegend im vergangenen Jahr entstanden sind. – Spuren, weil Franz Hermann aus den Fragmenten, Relikten, Hinweisen, an denen er quasi am Wegesrand vorbeikommt, seine Kunstwerke macht. Diese Stücke aus ursprünglich anderem Kontext verfremdet er, bindet sie ein in den größeren Zusammenhang seiner Materialbilder und erschafft dadurch neue Sinnzusammenhänge voll hintersinnigem Witz, Humor und Ironie. Dabei bedient er sich im Wortsinn jener liegengelassenen, weggeworfenen, entsorgten Dinge, die ihre Spuren behalten und in die Neuinszenierungen hineintragen dürfen, sollen, ja sogar müssen. Wobei es bei Franz Hermann weniger um die kriminalistische Spur geht, darum, mit Spürsinn ein Beweisstück zu systematisieren. Sondern viel eher darum, was Guiseppe Penone als „eine Art Bildminimum“ bezeichnete. Denn die „Spur ist das am wenigsten konstruierte Bild, das man noch als Kunst bezeichnen kann.“

Es sind also gerade keine „Readymades“, also Objekte wie die Pissoir-Fontaine von Marcel Duchamp, die so, wie sie den Künstler anspringen, belassen und im Galeriekontext umgedeutet werden. Das „objet trouvé“ wird zum „repräsentative[n] pars pro toto einer allgemein-gesellschaftlichen Befindlichkeit“ umgedeutet, die Hinweise auf Früheres bilden also den Ausgangspunkt zu häufig dreidimensionalen Materialcollagen. Deshalb kann man, wie ich finde, Franz Hermann mit Fug und Recht als „Spurensucher“ bezeichnen, denn ob im heimischen Garten oder am Straßenrand – immer ist sein Auge auf der Suche nach Verwertbarem fürs eigene Kunstschaffen. Dass solcherart verwendete Relikte über eine eigene Geschichtlichkeit verfügen, die sie wiederum ins Kunstwerk tragen, versteht sich von selbst. Doch letztlich rührt Franz Hermann damit auch an der Grundfrage philosophischer Ästhetik, die er auf diese Weise ebenfalls dem Kunstwerk implementiert: das Verhältnis von Kunst und Zeit, von Darstellung und Augenblick und ihre Beziehung zu Raum und Zeit.

Es sind immer wieder kleine Ereignisse, die Hermann mit seinen Arbeiten konstruiert, in jenem Sinn, wie es in den 1980er Jahren der Pariser Philosoph Jean-François Lyotard erläuterte. Im Hinblick auf das Ereignis führte Lyotard aus, es sei „der Augenblick, der unvorhersehbar ›fällt‹, oder ›sich ereignet‹, der aber, ist er einmal da, Platz nimmt in dem Raster dessen, was geschehen ist. Jeglicher Augenblick ist der Beginn, …“ Und damit sind wir bei einem der ganz großen Themen in Kunst, Literatur und Musik: dem Einfangen des Augenblicks! Insofern erstaunt auch nicht, dass dieses Thema die Arbeiten von Franz Hermann wie einen roten Faden durchzieht. Wobei das sicherlich Spannende an seinen Arbeiten ist, dass er ganz bewusst den Blick auf das Nebensächliche, Weggeworfene lenkt und das Kleine, Unbedeutende zum Kunstwerk erhebt. Das wird, wie ich finde, insbesondere an jenen Arbeiten deutlich, an denen er Alltagsgegenstände, wie ein Holzfenster, eine Metalltüre, eine Mistgabel einarbeitet, sie ihrer ursprünglichen Bedeutung entreißt, sie verfremdet, einbettet und damit ganz Neues schafft, das aber Spuren seiner Erstverwendung auch im neuen Zusammenhang behalten darf. Ob man dabei so weit gehen kann zu behaupten, Franz Hermann nähme eine Umkodierung der „Ursprungsmaterie“ vor, indem er mit dem Weiterverwenden von achtlos Weggeworfenem auf unsere Wegwerfgesellschaft hinweist und darauf, dass wir unserer Umwelt nichts Gutes tun, wenn wir sie zumüllen – diese Frage muss Ihnen der Künstler (vielleicht ja später bei einem Glas Wein) selbst beantworten.

Wenn wir vom Festhalten am Moment sprechen, sprechen wir implizit auch von seiner Kehrseite, von der Vergänglichkeit. Und auch dieses Thema – eines der ganz alten Themen der Kunst, wenn Sie an Vanitas-Stilleben und ähnliches mehr denken – scheint in Franz Hermanns Arbeiten immer wieder auf. Denn Spuren sind Zeugen, die zum Nachdenken über die Zeit einladen, von Vergänglichkeit und Gegenwärtigkeit berichten und Reflexionen über Geschichtlichkeit aufzeigen. Dabei künden Spuren immer von Vergangenem. Der Erhalt von Gewesenem setzt aber Vorstellungen von Ereignissen frei, Assoziationen und Erwartungen – wir müssen uns folglich erinnern. Passend erscheint mir daher, dass in der griechischen Mythologie Mnemosyne, die Göttin der Erinnerung, als Mutter der Musen auch Mutter aller Künste ist. Und ist nicht das gesamte Leben eine Art Spurensuche? Eine Suche nach sich selbst und nach den anderen? Klar wird in jedem Fall: Spuren gehen immer zurück, nie in die Zukunft. Und: die Fotografie ist „die“ Spur schlechthin, wenn man sie als Zeugnis der Vergangenheit begreift.

Franz Hermann hat mich im Vorfeld der Ausstellung dringend darum gebeten, nicht schon wieder auf die Anfänge der Fotografie einzugehen. Das hätten andere Laudatoren mehrfach, wenn nicht sogar schon zu oft gemacht. Zwar hat er sich eingehend mit Man Ray zu Anfang seiner künstlerischen Karriere beschäftigt. Aber ich will hier gar nicht näher auf dessen „Lichtmalerei“ eingehen. Sondern möchte vielmehr darauf hinweisen, dass sich durch die Erfindung der Fotografie vor annähernd 200 Jahren nicht zuletzt die Rahmenbedingungen für das Entstehen von Bildern, aber auch für deren Rezeption ganz entscheidend geändert haben. Und obwohl die dahinter stehenden Fragen uralt sind, können sie mit neuer Dringlichkeit gestellt werden: In welchem Verhältnis stehen Wirklichkeit und Bild zueinander, in welchem die Realität der Abbildung und die des Abgebildeten? – Vielleicht ist es beruhigend, dass schon Plato Bildern misstraute, weil er die Wirklichkeit selbst für ein Bild hielt. Allerdings: Besser wurde dieses Dilemma durch die Erfindung der Fotografie nicht! Und wir dürfen im Angesicht der derzeitigen Bilderflut auch nicht vergessen, dass die Fotografie erst seit relativ kurzer Zeit als künstlerisches Medium anerkannt ist. Wir aber durch die modernen Bildbearbeitungsmöglichkeiten nicht mehr darauf bauen können, dass mit einer Fotografie, wie Gisèle Freund noch in den 70er Jahren meinte, „die äußere Wirklichkeit ganz genau“ wiedergegeben wird.“

Was sich aber definitiv in den letzten rund 20 Jahren geändert hat, ist das Verhältnis der „traditionellen Künste“ zur Fotografie. Noch 1990 meinte Hans Gercke, der damalige Direktor des Heidelberger Kunstvereins, dass sich „heute zwei Positionen einander eher teilnahmslos als unversöhnlich gegenüberstehen: Eine Fotografie, die ein schönes Bild als Wirklichkeit ausgibt, und ein [Gemälde, das] anhand des der Wirklichkeit entnommenen Bildes auf diese und ihre Andersartigkeit verweist.“ Dass dies heute anders ist, dass Fotografie, Malerei, Plastik und Neue Medien miteinander kombiniert werden und dadurch die Grenzen der einzelnen Gattungen verschmelzen, dafür sind die Arbeiten von Franz Hermann der beste Beleg.

Dabei legt Franz Hermann seine „Spuren“ nicht nur an den Wänden, sondern auch auf dem Boden aus – vielleicht haben Sie bereits den Abfluss auf dem Galerieboden entdeckt, den man als zeitgenössisches Trompe l’oeil bezeichnen könnte. Es handelt sich nämlich um die Fotografie eines Abflusses, die kombiniert wird mit ganz realen Geräuschen abfließenden Wassers. Wir bekommen so den Eindruck, mitten im Alten Schulhaus würde jemand duschen – oder zumindest Wasser ablaufen lassen. Dabei geht es ganz offensichtlich nicht mehr darum, mithilfe von Scheinarchitektur einen Raum optisch zu vergrößern, sondern uns eine Situation zu vergegenwärtigen, die innerhalb eines Ausstellungsraumes nichts anderes als eine Illusion sein kann. Gleichzeitig wird unsere Alltagswelt durch diese kleine, unscheinbare, installative Arbeit in die Galerie hinein geholt, wird ein Vorgang, den wir sonst selbstverständlich täglich durchführen, dem wir keine weiteren Gedanken widmen, zum Kunstwerk erhoben. Doch müssen wir es uns in doppeltem Sinne vergegenwärtigen, denn wenn wir nicht aufmerksam durch den musealen Raum gehen, laufen wir Gefahr, die auf dem Boden liegende, flache Arbeit mit Füßen zu treten.

Arbeiten wie dieser liegt das Bewusstsein von einer enträumlichten, entgrenzten Welt zugrunde, mit dem heute die meisten von uns ganz selbstverständlich leben. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass Enträumlichung eine der zentralen Kräfte der Moderne darstellt. In diesem Zusammenhang wurde die Imagination zum „Schlüsselbegriff von Kunst und kosmopolitischer Kultur,“ die in bestimmter kulturell organisierter Form – als Träume, Lieder, Fantasien, Mythen und Geschichten – immer schon zum festen Bestandteil der Gesellschaft gehörte. Fiktionen erweitern daher die Wirklichkeit. Wobei wir uns immer wieder vor Augen führen sollten, dass „die dunklen Tiefen des Bewusstseins“, von denen bereits der italienische Philosoph Giovanni Battista Vico im 18. Jahrhunderte wusste und „die wir als Quellen der Mythenbildung oder als Hort von Vorstellungsbildern betrachten, … heute von unermesslichen Medienfluten gespeist [werden].“ Umso beruhigender vielleicht, wenn Franz Hermann mit seiner Videoarbeit pickender Hühner eben dies tut, was Lydia Haustein bereits 1999 als eine der wichtigsten Funktionen der Videokunst identifiziert hat: Sie vermittle „den fragilen Zustand zwischen Lokalität und Globalität, der durch die Auflösung traditioneller Strukturen entsteht. Sie fragt nach »lokaler« Identität ebenso wie nach den universalen Gegebenheiten von Bild, Technik und Kunst.“ Und was weist uns mehr auf unsere lokale Identität hin, als pickende Hühner? Denn schließlich gehört in unserem Speiseplan traditionell das Huhn dazu, das sich auf diese Weise eben nun mal ernährt. – Doch geht es um mehr. Denn Tatsache ist auch, dass sich – gerade in Zeiten globaler Medien mit schnellen, übers Internet verbreiteten Bildern kulturprägende Sichtweisen verändern, dass heute deutlicher denn je ist, dass „Bilder ihren Sinn verändern, wenn man ihren kulturellen Kontext verändert.“ Schauen Sie sich den 5minüter „Es gibt Reis“ an, so werden Sie erstaunt feststellen, meine Damen und Herren, dass zu Anfang gar nicht klar ist, was hier genau geschieht. Denn die Aufnahme ist eine Untersicht, gefilmt quasi in Fischperspektive, bei der Sie den Blick auf den Himmel und das Geschehen erst im Lauf der Zeit bekommen, nämlich dann, wenn die Hühner ausreichend gepickt haben. Erst dann wird auch klar, dass die eigentlichen Protagonisten dieser Arbeit tatsächlich die Hühner sind, die wir schemenhaft als Lichtflecke sehen, und die mit ihrem Picken die Oberfläche verändern. Dass es sich eben nicht nur um ihre Fußabdrücke handelt, die auf einem bewegten Untergrund in sanfter Bewegung sind, sondern dass dem Video eine ganz reale Bewegung zugrunde liegt. Und so wird im Auffressen des Reises – also indem etwas weggenommen wird – der Inhalt des Films deutlich. Man kann also getrost sagen, dass Franz Hermann hier die Reihenfolge, wie Kunst normalerweise entsteht, aber auch, wie wir Kunstschaffen im Gegenüber mit dem Kunstwerk wahrnehmen würden, umgekehrt hat. Denn die Spuren, die die Hühner hinterlassen, indem sie sich durch den Reis bewegen, die Körner verschieben und sie picken, werden erst dadurch offensichtlich, dass sie den Reis fressen. Und ist das Huhn erst einmal satt, bleiben auch hier wieder Spuren übrig: Spuren der Nahrungsaufnahme, Reste eines Überflusses. Dadurch, dass die Hühner, für die Franz Hermann das Video inszenierte, in der letzten Einstellung fehlen, wird die Oberfläche nun wieder zu dem, was sie eingangs war: eine ruhige Fläche gedämpfter Farbigkeit, bei der Strichstrukturen ein abstraktes Muster unterschiedlicher Dichte zeichnen.

„Kunst ist ein Hybrid“ lautet das Motto des an der Düsseldorfer Akademie lehrenden Künstlers Thomas Grünfeld, das man auch gut auf Franz Hermann anwenden kann. Denn die Vielfältigkeit seiner Arbeiten zeugt von der breiten Palette künstlerischer Aneignungsstrategien, mit denen zeitgenössische Künstler ihren Arbeiten neue Dimensionen von Geschwindigkeit und Gegenwärtigkeit hinzufügen. Wobei uns gerade die neuen Medien häufig hinters Licht führen: Vergangenes wird als scheinbar Gegenwärtiges präsentiert, das Fremde als Eigenes und Traditionen leben im medialen Prozess nur weiter, wenn sie „kompatibel“ sind. Insofern ist der Betrachter – also Sie, meine Damen und Herren – immer wieder von neuem dazu aufgerufen, die Materialcollagen, Fotografien und Videoarbeiten mit seinen eigenen Erfahrungen und inneren Bildern abzugleichen, wir werden dazu angeregt, in unsere eigene Bilderwelt einzutauchen.

Dass Franz Hermann dabei ein hintersinniges Spiel mit dem Betrachter spielt, wird insbesondere in seinen „Diaries“ deutlich. Ein Tagebuch erzählt im Regelfall in zeitlich linearer Abfolge von Ereignissen, Begebenheiten und Geschichten, die ihre Spuren in uns hinterlassen haben bzw. dazu geeignet sind, sie zu hinterlassen. Doch bricht Hermann diese Linearität zugunsten der Montage auf: Er erzeugt eine Gleichzeitigkeit, wo diese nicht vorhanden war, ein Nacheinander, bei dem die Reihenfolge aber nicht stimmt. Insofern, und hier schließt sich der Kreis, wird uns – gerade durch die Fotografie der Weg zur – wie auch immer gearteten – Realität gewiesen, weil sie „hauptsächlich eine Kunst des Sehens und des einfühlenden Verständnisses“ ist. Wobei wir, und ich hoffe, das wurde deutlich, immer nur jene Realität sehen, die sich dem Künstler aus welchem Grund auch immer dargeboten hat, oder die er eigens für seine Arbeit geschaffen hat.

Aus diesem Grund darf ich Sie, meine Damen und Herren, gleich auf Ihre eigene Gedankenreise einladen, die man, wie ich finde, gut mit Theodor Adorno unterfüttern kann. Er wies nämlich in seiner „ästhetischen Theorie“ darauf hin, dass „zur Selbstverständlichkeit wurde, dass nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist.“ – Insofern müssen wir uns auf uns selbst und unser Gespür, unsere Gedanken, Vorstellungen und Empfindungen verlassen und uns mit großer Offenheit in die Arbeiten von Franz Hermann hineinbegeben, den Spuren nachgehen, die er legt und die wir abgleichen können mit unseren eigenen Sehgewohnheiten und -erfahrungen. Wenn Heinrich Böll sich selbst als Clown bezeichnet, der Momente sammelt, umschreibt er damit ein im Prinzip unmögliches Unterfangen. Denn der Moment an sich ist ja flüchtig – wenn er auch seine Spuren hinterlässt. Ihn festzuhalten, dazu dienen nicht zuletzt Farbe und Form in der Malerei, während die Collage das Moment des Sammelns und das Video jenen der Zeitlichkeit verdeutlicht.

Kunst, meine Damen und Herren, ereignet sich – hier im Alten Schulhaus, indem Sie den Dialog mit den Arbeiten von Franz Hermann suchen, die von Vergänglichkeit und Gegenwärtigkeit in verschiedenen medialen Ausprägungen, in unterschiedlichen Kontexten und mit ganz diversen Materialien berichten. Indem Sie also jenen von Franz Hermann gelegten Spuren nachgehen, zu dem ich Sie jetzt ganz herzlich einlade.

Vielen Dank!

© Dr. Chris Gerbing, Karlsruhe, 2013 www.chrisgerbing.de

 

 

franz E hermann

Fotoarbeiten 2008 – 2012
Palais Adelmann Ellwangen 27.4. – 20.5.2012  Wolfgang Nußbaumer

Bei Lichte besehen, verlieren viele glanzvolle Erscheinungen ihre Strahlkraft. Ein Phänomen, m.D.u.H., das uns allen schon im privaten wie im geschäftlichen Leben begegnet ist. Heute können wir die gegenteilige Erfahrung machen. Das Licht meint es gut mit uns. Draußen im realen, warmen Frühlingsleben und hier, wo uns die Wirklichkeit als momentanes Abbild, als Inszenierung von fiktiver Realität, als deren kunstvolle Verfremdung und als deren Abstraktion begegnet. Jedoch immer als Licht-Bild.

Was waren das noch für Zeiten, als Fotografen die Wirklichkeit mit den Mitteln der Daguerrotypie auf die Platte bannten. Was für ein Aufwand, um eine Aufnahme zu machen. Von „ein Bild schießen“ konnte noch keine Rede sein. Der Schnappschuss ließ noch lange auf sich warten. Richtig bequem war dagegen die plein-air-Malerei. Mit ihrem Handwerkszeug gingen die Impressionisten hinaus in Gottes freie Natur und pinselten munter drauflos. Atmosphäre pur. Eine intensive Ahnung von Wirklichkeit. Aber der technische Fortschritt brachte den Malern des Lichts eine vermeintlich echte Konkurrenz ins Haus: die Bildner des Lichts. Flugs krochen jene unter die Tücher ihrer voluminösen Fotografierkästen und hielten alles im Bilde fest, was einigermaßen still hielt. Landschaft natürlich, weil sie sich kaum bewegt. Menschen im Porträt, Menschen in Gruppen, Menschen ganz ohne – alles. Der Ursprung der Welt war im Vergleich zu Gustav Courbets skandalumwitterter mweiblicher Landschaft im Nu im Kasten. Was für die Damen wohl bequemer war.

Aber die Vorteile der Fotografie für das kommerzielle Tagesgeschäft sind nicht unser Thema. Analog zur Entwicklung der Grafik über die Jahrhunderte hinweg hat sich quasi im Zeitraffer die Fotografie entwickelt. Seit 1888 die erste Kodak-Kamera die Ära der Fotografie für jedermann eingeläutet hat, ist dieses Medium wesentlicher Teil der Demokratisierung innerhalb der visuellen künstlerischen Kultur geworden. Mit allen Vor- und Nachteilen.
In dem Kontext, der uns hier zusammengeführt hat, geht es allerdings nicht – oder nur sehr am Rande – um die sozialen und informell-kommunikativen Aspekte eines Mediums, das durch seine technischen Möglichkeiten unsere Welt-Wahrnehmung revolutioniert und die Formen der visuellen Kommunikation entscheidend verändert hat. Ich verweise nur auf die Möglichkeit der Beeinflussung im Guten wie im Schlechten, die dem Lichtbild mit seiner Aura des Authentischen für uns als Augenwesen bevorzugt innewohnt. Die personenbezogene Warnung „Trauschauwem“ kann man angesichts der tagtäglich auf uns einströmenden Bilderflut und der im digitalen Zeitalter perfektionierten technischen Möglichkeiten der Manipulation mit gutem Grund abwandeln in ein „Trauschauwas“. Heute, wo jeder seine Digicam in der Tasche hat, zuckt der Finger schon von selbst zum Auslöser. Wir fotografieren mit allem, was einen Chip halten kann. Mit Wegwerfkameras, mit Fotohandys, mit zig Sorten von Fotoapparaten, die uns beaufsichtigenden Satelliten nicht zu vergessen. Vermutlich kommt die Zahl der Bilder, die Tag für Tag gemacht werden, an jene der Weltbevölkerung heran. Milliarden von Ausschnitten der Wirklichkeit werden produziert.

Aber ist es Wirklichkeit? Eignen wir sie uns an, oder erzeugen wir nur eine Art von optischem Fastfood? Schließlich können wir aus den eingelesenen Dateien am PC ja mühelos eine Auswahl treffen. Weshalb der normale Digitalfotograf eine ganz andere Philosophie hat. Da er um die Speicherfähigkeit seines Chips weiß, wartet er nicht auf den richtigen Augen-Blick, muss nicht das Auge für den entscheidenden Moment schulen, in dem Intuition und Erfahrung zusammenfließen. Die potente Digitalkamera lässt sich wie ein Schnellfeuergewehr bedienen. Eine Kugel trifft bestimmt. Damit wir uns richtig verstehen: Digitale Fotografie ist nicht vom Teufel, sondern eben eine weitere, durch den technischen Fortschritt geschaffene Möglichkeit, die Welt zu erfassen und mit ihrem Bild zu spielen.

Hier im Palais Adelmann, dürfen Sie bedenkenlos die Augen öffnen, m.D.u.H. weil ihnen niemand ein X für ein U vormachen möchte. Und wenn, dann mit Ansage. Da die Fotografie als Bild eine Form der Aneignung von Welt darstellt, ob real dokumentierend oder metaphysisch überhöht, bestimmen persönliche Erfahrungen und Einstellungen das Erkenntnisinteresse. Das gilt auch für die Arbeiten von franz E hermann. Eine wichtige persönliche Erfahrung hat dem gebürtigen Ellwanger den Weg zur künstlerischen Fotografie gewiesen. Wie viele andere Maler hatte er den Fotoapparat als Gerät zur Dokumentation, zum Festhalten von Eindrücken benutzt. Bis er bei seiner Nikon die Möglichkeit der Doppelbelichtung entdeckte. Damit konnte er die Momentaufnahme sozusagen in die Dimension der Zeit dehnen, konnte Eindrücke transparent übereinander schichten. In der Terminologie der Malerei würde man dieses Verfahren Lasurtechnik nennen. Nun hat Hermann mit der Mehrfachbelichtung zwar kein fotografisches Neuland entdeckt, aber selbst einen großen Schritt hin zu den aktuellen Werken gemacht. Er hat den Faden weitergesponnen. Wer sich selbst schon in analoger Fotokunst versucht hat, wie Jiri Heller, dessen Arbeiten ebenfalls schon hier im Palais zu sehen waren, der weiß, wie mühsam dieses Geschäft ist. Mit der Digitalisierung der Fotografie haben sich für die Bearbeitung am Rechner ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Von ihnen macht der Maler Hermann höchst kreativ und virtuos Gebrauch.

Der seit vielen Jahren im badischen Karlsruhe lebende Schwabe aus Schwabsberg erzählt offensichtlich gerne Geschichten zwischen Tag und Traum, füllt die gesehene Wirklichkeit mit dem, was möglich wäre. Darin ist er sich mit Giuseppe Verdi einig. Der große Opernkomponist meinte, die Wahrheit zu zeigen sei eine gute Sache, sie zu erfinden allerdings die weitaus bessere Alternative. Märchen und Mythen scheinen aus Hermanns Bildkompositionen aufzusteigen wie der weise Nebel wunderbar. Eine sehr gepflegte Form von Anarchie, wenn sie mir dieses Paradoxon erlauben. Neben den Gebrüdern Grimm könnte indes auch ein Edgar Allen Poe hier sitzen und Schreckgestalten des Unterbewussten auf uns loslassen, ein E.T.A Hoffmann könnte unheimliche Gedanken hegen oder der Filmregisseur John Carpenter seinen „Nebel des Grauens“ wabern lassen. Denn im Zwischenreich des franz E hermann öffnen sich die Türen in ganz unterschiedliche Richtungen. Daraus resultiert der fesselnde Zauber seiner Bildwerke, ihre ganz besondere ambivalente Atmosphäre. Geschaffen mit den Mitteln genuiner Fotografie. Und dann und wann mit einem gekonnten Pinselstrich.

Diese Technik des Übermalens lässt sich besonders deutlich bei den Mischtechniken aus der kleinformatigen Reihe seiner Tagebuch-Blätter studieren. Wirklich alltägliche Dinge wie ein Abflusssieb oder eine Farbwalze im Plastikbeutel gewinnen einen schwer zu fassenden, am ehesten noch als bedrohlich zu empfindenden Charakter. In dieser Form der Weiterverarbeitung wird deutlich, dass sich der Künstler weniger als Sammler, denn als Finder versteht. Was ihm ins Auge fällt, stachelt die Bildidee an. Voraussetzung für diese Art der viel versprechenden Objektsuche ist, so verrät franz E hermann, „dass man halbwegs wach durch die Gegend läuft.“ Halbwegs wach? Seine Bilder künden von einer ganz anderen Bewusstseinslage. Sie mögen zwar wie die Phantasmagorien eines Schlafwandlers wirken; um die einzelnen Fundsachen jedoch zu diesen Chiffren zu verschmelzen, muss man hellwach unterwegs sein.

Die Ambivalenz des Kreatürlichen durchzieht als Generalthema Hermanns Schaffen. Ein Blick auf seine Vita könnte erklären, warum. Er hat nicht nur Kunst und Germanistik für das Lehramt studiert, sondern noch eine Ausbildung zum Sonderschullehrer draufgesattelt. Bis 2010 hat er auf diesem Felde gewirkt und daneben Kunst gemacht. Ziemlich sicher hat ihn diese pädagogische Profession geerdet, hat ihn darin bestärkt, im vermeintlich Unscheinbaren das eigentlich Wichtige zu sehen. Sein Inszenierungsmodell folgt weitgehend dem Prinzip, Figuratives gegen Farbflächen zu setzen. Das kann in einem Bilde geschehen wie im doppelsinnigen „koi fisch“ oder in Form von Diptychen, bei Hermann sind das geteilte Bilder, exemplarisch abzulesen an der Arbeit „g.göttin“. Die Statue vom Friedhof neigt sich hin zu einer amorphen Fläche, in der menetekelartige Zeichen aufleuchten. Hermann spielt mit Seherfahrungen, mit Symbolen und Codices, die als Allgemeingut angenommen werden dürfen. Im Bild „kommen“ windet sich der Kerzenleuchter mit seinen Haltestacheln wie eine Dornenkrone um ein diffuses dunkelfleischfarbenes Zentrum, das man als Kopf- und Schulterpartie eines Menschen deuten könnte. Ja, erklärt der Künstler, er beziehe mit seinen Arbeiten durchaus Position, um dann nachdrücklich hinzuzufügen: „Aber niemals als Botschaft“. Kunst muss zum Denken anstiften, das Augenfutter muss hungrig machen. Letztlich wirken die Werke von Franz E Hermann wie Salzwasser: Je mehr man davon zu sich nimmt, umso durstiger wird man.

Fassen wir zusammen, m.D.u.H., Irrtum inbegriffen: In der künstlerischen Ahnengalerie von franz E hermann steht der Erfinder der „ready mades“, Marcel Duchamp, an erster Stelle. Wie jener verpflanzt der Künstler alltägliche Gegenstände in ein anderes Umfeld und deklariert sie dadurch als Kunst. Beim Meister des Urinals ist Kunst jedoch in erster Linie konzeptuelle Idee, nicht die ästhetisch-kreative persönliche Ausbildung einer Bild- oder Objektvorstellung. An dieser Schnittstelle trennen sich bereits die Wege von Duchamp und Hermann. Der Maler und Fotokünstler konterkariert das Credo seines Vorbilds, indem er die Fundsachen des Alltags nicht nur in einen anderen räumlichen Kontext stellt, sondern sie durch die multimediale Bearbeitung am PC und traditionelle haptische Malarbeit zu einer eigenen ästhetischen Behauptung verfremdend überhöht.
In seinen Arbeiten lotet Hermann die durch die Digitalisierung enorm erweiterten Möglichkeiten des Mediums der Fotografie auf vielfältige Weise aus. Er manipuliert zwar das Objekt ebenso wie dessen subjektive Wahrnehmung. Mit Manipulation im ideologischen Sinn hat diese Verfahrensweise indes nichts zu tun. Weil franz E hermann nichts vertuscht und nichts beschönigt. Er vertieft. In seiner gestalteten Wirklichkeit die berührende Wahrheit zu entdecken bleibt dem Betrachter als Herausforderung – und Geschenk. „Meine Bilder sind klüger als ich“ hat Hermanns Künstlerkollege Gerhard Richter nüchtern festgestellt. Das war keine Koketterie. Weil eben vieles aus dem Unterbewussten und der Erinnerung in den Gestaltungsprozess einfließt und sich als komplexer Ausdruck von persönlicher Geschichte, Denken und Fühlen im fertigen Werk manifestiert. Gleiches dürfte für die narrativen Arbeiten von franz E hermann gelten. Eines ist auf jeden Fall sicher: Seine Bilder sind klüger als ich. Darum wird es Zeit aufzuhören, damit Sie sich selbst ein Bild machen können.

Copyright by Wolfgang Nußbaumer M.A.
Emma-Schlette-Weg 16
73479 Ellwangen

 

 

Astrid Hansen - franz E hermann

Einführungsrede (Auszüge) zur Ausstellung 23. Januar 2011, Künstlerhaus Karlsruhe    Roswitha Zytowski

„Was ich nicht malen kann, fotografiere ich und was ich nicht fotografieren kann – meine Träume und Vorstellungen, male ich.“
Dieses Zitat stammt von Man Ray aus dem Jahre 1960 und wer das Werk Man Rays kennt, weiß, dass er die Fotografie nicht nur dokumentarisch, sondern insbesondere experimentell einsetzte. Dieses Zitat habe ich deshalb ausgewählt, weil die hier ausstellenden Künstler, Astrid Hansen und franz E hermann, beide von der Malerei kommen, und sich nun schon seit geraumer Zeit der Fotografie widmen.

Sammeln ist auch eine Leidenschaft von franz E hermann. Er sammelt Gegenstände, die von Menschen gemacht, von Menschen verloren oder weggeworfen wurden. Aus diesen Fundstücken, die hermann nicht sucht, sondern, wie er es selbst formuliert, die ihn finden, setzt er neue Realitäten zusammen. Diese von franz E hermann geschaffenen Lebenswahrheiten haben viel mit unserem Alltag zu tun. Im alltäglichen Umgang jedoch nehmen wir die meisten Gegenstände beim
schnellen Vorübereilen nicht wahr.

Bei hermann erhalten die kleinen Dinge ihren besonderen Auftritt. Dabei spielt ebenso die Malerei eine wichtige Rolle. Denn in seinen fotografischen Arbeiten setzt
hermann auch die Mittel der Malerei ein. Mit Pinsel und Farbe geht er an seine Arbeiten heran und setzt hier und da noch besondere Akzente. f. E hermann bezeichnet sich selbst nicht als Fotograf – für ihn ist die Fotografie Mittel zum Zweck. Ihn treibt nicht die handwerklich perfekte Aufnahme um. Vielmehr setzt hermann seine Bilder zusammen aus geglückten, aber ebenso aus verwackelten Bildern. Sein Mittel der Wahl ist die Collage. Sie bestimmt seine Bilderwelt. Und mit
seinen gefundenen Gegenständen, seien sie nun nur fotografisch festgehalten oder als echtes Objekt ins Atelier verbracht, setzt der Künstler neue Realitäten zusammen – mal zweidimensional, mal dreidimensional –wie Sie an den Objekten sehen können.

Beiden Künstlern ist gemein, dass sie bei uns als Betrachter einen Prozess in Gang setzen wollen. Wir sollen hinsehen, lesen, und selbst auch Hand an die Arbeiten legen. Hansen und hermann geben uns dabei so manches Rätsel auf. Ihre Kunst ist nicht plakativ. Wir sollen die Bilder auf uns wirken lassen und uns die Zeit nehmen, ihre Vielschichtigkeit zu ergründen. Die Künstler Hansen und hermann geben uns hierzu viele Gelegenheiten in ihrer herausragenden Werken.
Ganz dem Gedanken Man Rays folgend: Der Künstler sollte alles machen oder es
wenigstens probieren.

 

 

franz E hermann

Ausstellung vom 27.1. - 26.4.2010 im Klinikum Langensteinbach Einführungsrede von Dr. Ursula Merkel

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Franz E Hermann,

das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Bilder – in erster Linie der Fotografien sowie der filmischen und computergenerierten Bilder. Und auch für den Beginn des 21. Jahrhunderts gilt, dass Fotografien unsere Wirklichkeit und Wahrnehmung ganz entscheidend prägen. Unser Weltbild, unsere Weltanschauungen – im durchaus wörtlichen Sinn - beruhen zu einem nicht geringen Teil auf Sekundärerfahrungen und hier besonders auf den fotografisch, d.h. technisch hergestellten Bildern.

Wenn zeitgenössische Künstler mit dem Medium Fotografie arbeiten, dann steht der rein dokumentarische Charakter des Lichtbilds meist nicht im Zentrum ihres Interesses. Vielmehr geht es – ganz vereinfachend kategorisiert – einerseits um konzeptuelle Ansätze, um Wahrnehmungsfragen und Medienanalyse, andererseits um einen betont subjektiven, schöpferischen Umgang mit den Möglichkeiten des technischen Bildes. Auch bei dieser Richtung der künstlerischen Fotografie bleibt das einzelne Werk immer ein Stück weit an die Realität der sichtbaren Welt, an Raum und Zeit eines gelebten Augenblicks gebunden. Zugleich wird es jedoch mit einer Realität des Imaginativen verbunden und erfährt eine Transformation ins Poetische und Geheimnisvolle.

Dies gilt auch für die Fotoarbeiten von Franz E Hermann, von denen wir hier im Klinikum Langensteinbach eine Auswahl aus den letzten zwei bis drei Jahren sehen. Dabei handelt sich ausnahmslos um experimentelle Werke, für die jeweils eine oder mehrere selbst gemachte Aufnahmen den Ausgangspunkt bilden. Der Künstler verändert, verfremdet und modifiziert seine fotografierten Realitätsfragmente in vielerlei Hinsicht; sie werden miteinander kombiniert, übereinandergeblendet, multipliziert, solarisiert, collagiert, übermalt und mit unterschiedlichen Materialien ergänzt. Auf diese Weise entstehen völlig neue, komplexe, oft rätselhafte Bilder von ausgesprochen malerischem Charakter, in denen die Differenz zwischen subjektiver Fotografie und Realität spannungsvoll inszeniert ist und deren Assoziationsreichtum immer wieder überrascht.
So gesehen erstaunt es nicht, dass die Anfänge der künstlerischen Arbeit von Franz E Hermann ursprünglich in der Malerei liegen. Experimente mit der Fotografie und mit Objektcollagen kamen jedoch bald hinzu, und die Entscheidung, sich vornehmlich auf die Fotografie zu konzentrieren, hat er bereits vor vielen Jahren getroffen. Was ihn daran ganz besonders fasziniert, ist das schier unerschöpfliche, kreative Potenzial des Mediums. Vorbildhaft und wegweisend empfand er schon früh die Lichtbild-Experimente von Man Ray, dem „Poeten der Dunkelkammer“, wie ihn die Surrealisten in Paris nannten. Aber auch der abgründige Humor und die entlarvende Ironie der Dadaisten haben den Künstler inspiriert und in seiner eigenen Richtung bestärkt.

Wie sieht nun die technische Herstellung der Fotoarbeiten aus, wie müssen wir uns den Entstehungsprozess dieser zwischen Traum und Wirklichkeit oszillierenden Bilder vorstellen? Am Beginn von Franz E Hermanns Werken steht nicht – oder nur ganz selten - eine vorgefasste Idee, die es planvoll und konsequent umzusetzen gilt. Den Anfang bildet vielmehr fast immer ein einzelnes und ihm in diesem Moment besonders interessant erscheinendes Foto aus seinem riesigen Fundus an analogen und digitalen Aufnahmen, die der Künstler, meist mit dem Fotoapparat unterwegs, in seinem Archiv zusammengetragen hat. Das ist der Ausgangspunkt, der dann mit weiteren Aufnahmen kombiniert, überlagert, verfremdet werden kann und am Scanner und Computer die erstaunlichsten Transformationen erfährt.

Dieses Ausgangsmaterial zeichnet sich weder durch spektakuläre Motive noch durch fotografische Perfektion aus, im Gegenteil. Die Bildsujets werden nicht zielgerichtet und sorgfältig ausgewählt, sie sind eher beiläufiger, alltäglicher Natur, weniger gesucht als gefunden. Dem entspricht die technische Umsetzung, die einem unbefangenen, amateurhaften Knipsen gleicht. Mitunter entstehen die Schnappschüsse auch so, dass sie vom Monitor abfotografiert oder mit dem Handy angefertigt werden. In der Vergrößerung lösen sich dann die Konturen auf. Verfremdung und Manipulation des Motivs sind also nicht allein eine Frage der späteren Bildbearbeitung, sie finden vielmehr bereits während des Aufnahmevorgangs statt.

Die Ansichten und Situationen, die Gegenstände, Pflanzen und Menschen, die der Künstler abgelichtet hat, sind im Bild oft kaum noch zu erkennen, sie erscheinen wie in eine magische, surreale Sphäre entrückt und entfalten ein Eigenleben von hoher Suggestionskraft. Durch die vielfachen Veränderungsprozesse verlieren die Motive ihre Eindimensionalität, ihre formale und inhaltliche Eindeutigkeit, werden gleichsam metaphorisch aufgeladen. So führt das verblüffende Wechselspiel an der Grenzlinie zwischen Realität und Fiktion, zwischen erkennbarer Wirklichkeit und verfremdender Auflösung in neue, überraschende Bildwelten. Die immer noch entschlüsselbaren Realitätssplitter funktionieren dabei als Einstiegsmöglichkeit für den Betrachter, denn das fotografische Motiv erinnert trotz aller Eingriffe an einen aus dem Fluß der Zeit herausgehobenen Augenblick, ist ein im Lichtbild konservierter Moment des Lebens, der die Vorstellung einer konkreten Gegenwart hervorruft.

Mit diesem Einstieg in das Bild sind auch durchaus narrative Aspekte verbunden. Nicht dass die hier gezeigten Fotoarbeiten selbst Geschichten erzählen würden. Doch ihre Komplexität verführt uns dazu, im suchenden Enträtseln und Assoziieren eigene Geschichten zu erfinden, persönliche Empfindungen und Erinnerungen mit diesen Bildern zu verknüpfen. Die künstlerische Vorgehensweise von Franz E Hermann, die wenig mit Strategie zu tun hat, aber viel mit Offenheit für das Unvorhersehbare, mit Intuition, Neugierde und spielerischer Unbefangenheit, findet so eine Entsprechung auf der Ebene des Rezipienten.

Freilich gibt es motivische Schwerpunkte, dominierende Themen, die sich wie ein roter Faden durch das Gesamtwerk ziehen und unsere Vorstellungen, also die „inneren Bilder“ in bestimmte Richtungen lenken. Das Thema Natur spielt eine große Rolle, damit verbunden die Ästhetik der Vergänglichkeit und des Zerfalls, die der Künstler in vielen Variationen vor Augen führt – vom Aufblühen und Vergehen zauberhafter Blumen bis hin zu Motiven von Friedhöfen und Grabsteinen.

Franz E Hermanns Thema ist die Vielschichtigkeit der Welt. Mit seiner unverwechselbaren Bildersprache entführt er uns in ein kleines Welttheater der leisen Töne und der unspektakulären Ereignisse. Immer auf der Suche nach dem Unbekannten im Vertrauten, nach dem Abenteuer im Alltäglichen lässt er uns mit seiner Fotokunst teilhaben an seinem unablässigen Staunen über das Leben.

 

 

Carmela Thiele